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Kurzgeschichten

Die Jickelson Tagebücher: Der Blues der Singschlangen

Der Blick über Los Angeles aus einer sündhaft teuren Villa in den Hollywood Hills wirkt auf manche Menschen berauschender als eine Nase unverschnittener Koks direkt vom kolumbianischen Produzenten. Schon die Fahrt über den Mulholland Drive gibt einem das Gefühl, nicht mehr als normal Sterblicher zu gelten und zu einer privilegierten Minderheit zu gehören.

Rainy Sunshine, ein bekannter Singer und Songwriter, mit dem ich seit einigen Jahren gut befreundet war, hatte mich eingeladen und stand jetzt neben mir am 15 Meter hohen Panoramafenster. Wir nippten an allerfeinstem Gin, während wir auf die Lichter der Metropole schauten und an die zahllosen Abenteuer dachten, die dort in jedem Augenblick passierten.

„Trotzdem habe ich keine Geschichten mehr zu erzählen,“ sagte Rainy. Er hatte seine Nische im Musikbusiness vor etwa 10 Jahren gefunden – den „fröhlichen Blues“ und war damit innerhalb weniger Jahre zu fast schon ordinärem Wohlstand gekommen.

„Du hast ausgesorgt. Mit dem, was Du mit Deiner Musik verdient hast, kannst Du bis an das Ende Deiner hoffentlich noch zahlreichen Tage, herrlich und in Freuden leben“, sagte ich.

„Das mag sein. Was mir fehlt – und das schon seit mehr als einem Jahr, ist das Gefühl, wenn meine Fans mir wegen eines neuen Hits zujubeln. Das Gefühl, wenn ein Titel die Charts hochläuft, wenn ich zu elitären Interviews eingeladen werde, wo ich meinen Fans meine Message mitteilen kann: das Leben ist gut! Selbst wenn es nicht gut läuft, ist nicht alles schlecht. Holt Euch das Beste aus eurem Leben und habt Freude daran!“

„Verständlich. Es ehrt Dich, nicht nur an das Geld zu denken, sondern weiterhin Deiner Bestimmung zu folgen.“

„Erinnerst Du Dich an unser vorletztes Treffen?“ fragte Rainy.

„Die Poolparty, wo wir gegen zwei russische Oligarchen-Töchter Wasser-Volleyball gespielt haben? Ich habe zwei Tage gebraucht, bis sich meine erschöpften Hüften wieder erholt haben.“

„Genau“, sagte Rainy und setzte sich mit seinem Gin in einen Sessel mit Blick auf die Stadt. Er musterte mich, als ob er mich zum ersten Mal sehen würde. „Du bist doch – wie heißt das – Weltenspringer zwischen der Erde wie wir sie kennen und der mit Atlantis?“

„Und soweit ich weiß, der einzige auf diesem wunderbaren Planeten.“

„Erinnerst Du Dich an die Geschichte mit den Zauberkröten, die bei den Barden in Atlantis so beliebt sind?“

Das hatte ich ihm in ziemlich angebrüteten Zustand, bei beginnender Morgendämmerung in einem Liegestuhl erzählt, während die beiden Oligarchen-Töchter schon sanft schliefen. Die Zauberkröten komponierten jede Woche ein neues, erfolgreiches Lied, dass sich durch ihre empathischen Fähigkeiten jeweils nach dem Genre und der Persönlichkeit ihres Besitzers richtete.

In den Vororten von Boenia, der Hauptstadt von Atlantis, lebte ein Froschzüchter, der diese und andere Spezial-Frösche für sehr viel Dominaren verkaufte und entsprechend wohlhabend war.

Ich nickte versonnen.

„Besorg mir eine von ihnen und ich zahle Dir, was Du willst.“ sagte Rainy.

Während mein Unterbewusstsein die dauernden Geräusche einer klingelnden Registrierkasse (Ka-Tsching) in mein Oberbewusstsein schickte, runzelte ich die Stirn.

Wie sollte ich das dem Schicksal erklären?

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Mein Haus steht ziemlich versteckt auf einem ca. 25ha großen Waldgrundstück im deutschen Allgäu. Neben dem Herrenhaus und einigen kleinen Nebenhäusern ist eine ca. 18m hohe Pyramide u.a. aus versilberten Spezialsteinen das herausragende Objekt.

Am Fuße der Pyramide mit der ich zwischen der Erde und Atlantis pendele, hat das Schicksal – immer zu einem Scherz aufgelegt – eine gelbe Telefonzelle installiert. Mit dem Telefon kann ich nur eine Rufnummer erreichen – ja, die des Schicksals (das war vorhersehbar, na gut).  Das nach 60er und 70er Jahre Design des kalten Kriegs auf der Erde aussehende Kommunikationstool, passte so gut in mein Anwesen, wie ein Spanferkelspieß auf eine Veganer-Party. Als erfahrener Verkäufer nahm ich die kleinen Spleens meiner Kunden aber ernst und trat ein.

Ich wählte die Nummer und das hörte am anderen Ende:

„Jickelson, schön dass Du anrufst. Ich hatte erst vor Kurzem an Dich gedacht.“ sagte das Schicksal. Komm doch auf einen Sprung vorbei und lass uns über Dein Anliegen und mein neues Projekt reden.“

Es hat immer etwas Erfrischendes mit Wesen zu reden, die bereits wissen, was man sagen will und die seit Äonen Erfahrung mit der menschlichen Psyche haben.

Ich stieg auf die Pyramide, begann mit meinem völlig disharmonischen Transit-Song und war nach ca. 10 Minuten unterwegs. Wo und wie ich genau reiste? Keine Ahnung.

Nach der halben Reisezeit stand ich vor dem Thron des Schicksals und verbeugte mich.

„Steh doch auf und komm zu mir. Nimm auf dem Hocker am Fuße meiner bescheidenen Sitzgelegenheit Platz,“ sagte das Schicksal aus ca. 3 Meter Höhe von seinem Prachtthron herunter.

Nicht dass ich ein Ego-Problem habe, aber unter diesen Umständen selbstbewusst aufzutreten, war eine ganz besondere Herausforderung.

„Ich kenne bereits Dein Anliegen. Du willst zwei Zauberkröten aus Atlantis für einen Freund in Los Angeles besorgen, damit er wieder erfolgreich wird. – Bei dem Gin hätte ich allerdings eine andere Marke gewählt“, sagte es und reichte mir ein Kristallglas, das nach überirdischer Schleifkunst aussah.

Ich mag es nicht, wenn man mich bespitzelt. Ich mag es auch nicht, wenn man mir dauernd über die Schulter schaut oder versucht, meine Freiheit einzuschränken. Deshalb improvisierte ich schnell ein wenig, um das Schicksal von seinem hohen Ross – bzw. Thron zu holen.

„Was wäre denn der Preis für zwei Zauberkröten und einen Olemba-Saphir?“

„Was?“

„Was wäre denn der Preis für zwei Zauberkrö….“

„Das habe ich verstanden, aber von einem Olemba-Saphir war nie die Rede,“ sagte das Schicksal.

„Bis jetzt hatten wir ja auch noch nicht geredet, sondern Du hast nur bei mir zugehört, bzw. zugesehen. Den Saphir will ich für meine Sammlung von Atlantis Artefakten, die wir brauchen, um die Erde vor dem Atlantis-Schicksal zu retten. Sie ist noch sehr klein und wie Du weißt, wird mit jedem Artefakt mehr positive Energie auf die Erde übertragen.“

„Kommt nicht in Frage! Zuviel Energie kann das Gegenteil bewirken.“

„Denk doch mal an die vielen guten Dinge, die wir damit bewirken könnten.“

„Nein.“

„Es gibt zahllose Olemba-Saphire auf Atlantis, da kommt es doch auf einen nicht an.“

„NEIN.“

„Also es kommt nicht darauf an?“

„Doch, aber meine Antwort lautet NEIN!“ wurde das Schicksal lauter und beugte sich ein wenig zu mir herunter.

„Schade, dafür hätte ich gleich einen weiteren Auftrag gegen Yaginam zusätzlich angenommen.“ sagte ich.

„Gegen Yaginam? Dieses kleine Hegemonialvolk auf der Atlantis Welt verstößt regelmäßig gegen unsere Vereinbarungen. Du weißt, dass Du bei einem Misserfolg nach Yaginam gebracht werden kannst und keine Möglichkeit zur Rückreise über eine Pyramide hättest?“

Daran hatte ich nicht gedacht, aber was soll´s. Der Gegenspieler von Atlantis war mir nie besonders clever vorgekommen, warum sollte sich das geändert haben?

Das Schicksal wirkte nachdenklich.

„Folgender Deal: Frogare, ein Froschzüchter- und -händler in der Hauptstadt Boenia ist öfter auffällig geworden, weil er immer wieder versucht, illegale Frösche aus Yaginam zu importieren und verkaufen. Wenn Du ihn überführst, bekommst Du die Zauberkröten. Zweiter Teil: einige Singschlangen in den Sümpfen von Slorgh singen seit Tagen keine fröhlichen und harmonischen Lieder mehr, sondern nur noch trübsinnigen Blues. Der ganze Sumpf wird noch depressiv. Finde heraus, woran das liegt und beseitige es. Dann bekommst Du Deinen Olemba-Saphir.“

Ich hatte gerade noch Zeit, meinen Gin auszutrinken, als ich auch schon wieder auf dem zweiten Teil meiner Reise nach Atlantis war.

Ich materialisierte in Atlantis bei schönstem Mittelmeerwetter auf der Spitze einer Pyramide, die relativ versteckt in einem Waldgebiet aus tropischen Bäumen stand. Mein Landhaus war 10 Minuten entfernt und auf dem Weg dorthin, rief ich meine Partnerin Okura mit dem Steinkommunikator an, die als Saurierzähmerin ein florierendes Geschäft betrieb.

„Jick, Du warst über einen Monat weg. Fast hätte ich Dich vergessen!“

„Sagte die schmachtende Partnerin zu ihrem außergewöhnlichen Freund.“

„Im Ernst, ich hatte so viel um die Ohren, dass ich kaum Zeit hatte…“

“… an unser Abenteuer mit dem Schatten von Yaginam und den Springschnecken zu denken?“

„Willst Du vorbeikommen?“ fragte sie.

„In zwei Stunden bin ich da. Reitgelegenheit habe ich bereits bestellt, in 20 Minuten sitze ich im Sattel. Mach etwas Zeit frei in den nächsten Tagen, ich habe interessante Jobs für uns.“

„Ich freue mich auf Dich.“ sagte sie und beendete das Gespräch.

Ich mag toughe Frauen, die nicht nur gut aussehen und clever sind, sondern auch noch gerne mit mir zusammen sind.

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Professionell angelegte Krötenteiche haben etwas Urweltliches. Man wartet förmlich darauf, dass aus der Ursuppe der veralgt und vermodert aussehenden Tümpel mit einem Durchmesser von bis zu 50 Metern, langarmige, zottelige, grüne Monster in beachtlicher Größe steigen, um einen mit schlechtem Atem und stinkenden Abfällen zu vertreiben.

Die Teiche von „Frogalas Kröten aus eigener Zucht“ machten da kaum einen Unterschied. Mehr als 40 dieser Tümpel konnten man vom Gipfel des Hügels sehen, auf dem das Anwesen des sehr wohlhabenden Züchters stand. Okura und ich hatten uns mit ihm verabredet, um eine Ausstattung besonderer Kröten für unsere eigenen Zwecke zu beschaffen. So die offizielle Version.

Um sehr schnell mit dem auf dem ganzen Kontinent bekannten Züchter von zum Teil sehr seltener Kröten überhaupt einen Termin zu bekommen, hatte es der Intervention von höchster Stellen bedurft. Selbst Großkanzler Oeckie wurde über einen Sonder-Gesandten involviert. Da es sich um eine Frage der nationalen Sicherheit handelte, unterstützte er uns gerne.

Lenne de Penne, der Gesandte des Großkanzlers, machte die Dringlichkeit unseres Besuchs deutlich. Der adlige Philantrop und erfahrene Diplomat, war derzeit im Dienste der Regierung bei einer Umsetzung von kontinentalen Veranstaltungen junger und wenig erfahrener Künstler tätig, an deren Ende jeweils der „Atlantische Barde des Jahres“ gekürt wurde.

Frogara war ein Sponsor dieser Veranstaltungsreihe und wir somit recht schnell mit ihm im Gespräch. Nach kurzer Zeit hatten wir einen Termin, bei dem wir uns nach einigen besonderen Exemplaren seiner Frösche für unser Anwesen und für unsere Ausstellung der besten Reitsauriere  anschauen wollten. Die schnell zusammengewürfelte Story hielt seinen Fragen stand, da er mehr an unseren Dinaren, als an uns interessiert war.

Okura und ich stiegen von LexKex, ihrem Reitsaurier. Der kapitale Tricepteros mit einer Risthöhe von etwas über 2,50 Meter trug uns beide mühelos. Sein Knochenschild im Nacken hielt uns am Ende der Reise sogar einen Teil der nervigen Insekten vom Leib, die um die sommerlichen Gewässer schwärmten. Seine beiden ca 50 Zentimeter langen Hörner, waren furchteinflößende Waffen, die dem Pflanzenfresser in der Kreidezeit erfolgreich Gegner vom Leib gehalten hatten. Gleiches hatte er schon mehrfach für Okura getan, die ihn vor etwas mehr als 2 Jahren gezähmt hatte.

Lenne de Penne war bereits vor uns eingetroffen. Seine bunte, aber stilvolle Bekleidung hätte ihm in unserer Zeit die Bezeichnung „Paradiesvogel“ eingebracht. In Atlantis unterschied er sich von den meisten anderen Barden vor allem durch die Qualität der Bekleidung und sein distinguiertes Verhalten.

Das unterschied ihn auch von Frogala.

Der Krötenhändler schien im Laufe der Jahre mehr und mehr die Form seiner Zucht- und Handelsware angenommen zu haben. Als er seine dicken, schwulstigen Lippen beim Reden bewegte, imitierte Okura ihn unwillkürlich. Seine Haut hatte einen ungesunden Grünton, der sich bis in das ehemals Weiße seiner Augäpfel fortsetzte. Die gelb-grünen Pupillen zuckten beim Reden hin und her, als ob er nach Insekten Ausschau hielt.

Mit etwas Mühe bewegte er seinen schwabbeligen Körper, der nur mühsam durch wallende, durchweg in dunklen grün-braun gehaltene Gewänder verdeckt war, in schwarzen, matten Stulpenstiefelchen die Treppe hinunter.

„Welche Ehre für mich, so hoher Besuch in meinen bescheidenen Teichen!“ Der Mann identifizierte sich wirklich mit seinem Job.

Er verbeugte sich vor Lenne de Penne, der ihm kurz zunickte, musterte Okura mit einem längeren Blick, während er sich unterbewusst mit der fleischigen Zunge über die Lippen leckte und schaute etwas keck zu mir. „Ein Exot, genau wie ich. Nur anderes.“ Er bleckte seine gelben Zähne, was wohl ein Lächeln sein sollte. Dabei tastete er nach meinen Blue Jeans.

„Welch rauher, doch feiner Stoff. Das Blau, das Blau, so…“

„Blau?“ ergänzte Okura.

„Ich hoffe, es ist ok für Sie, wenn ich ein wenig in Ihren Haaren spiele, während Sie weiter an meiner Hose fühlen? Mein Name ist John Jack Jickelson. Meine Freunde nennen mich Jick.“ fragte ich und schaute Frogara unverwandt an.

Der wich einen Schritt zurück und blinzelte, als ob er auch einem Traum aufwachte.

„Verzeihung, Sie haben Recht. Ich bin unhöflich.“ Er starrte wieder kurz Okura an, die knapp zwei Köpfe größer war als er.  „Was ist der Anlass für Ihren Besuch?“

„Meine Partnerin und ich planen eine exklusive Ausstellung unserer Ware und eine Art Ausstellung für alte und neue Kunden. Dafür lassen wir einen Großteil unseres Anwesens neu anlegen und wollen unsere Klientel mit wirklich ausgefallenen und sehr besonderen Kröten überraschen. Wirklich sehr ausgefallen und sehr, sehr besonders.“ sagte ich.

„Der Preis spielt keine Rolle.  Wir möchten nur Kröten, die man bisher noch nicht in unserer Region rund um Boenia gesehen hat.“

„Oh, Sie wohnen auch in der Hauptstadt?“ flötete Frogara. „Dann lassen Sie uns doch einen kleinen Rundgang bei den Exotenteichen machen.“

Während sich Lenne de Penne mit wichtigen Terminen entschuldigte und auf sein schwarzes atlantisches Rassepferd stieg, redete Frogara beinahe ohne Luft zu holen.

„Kröten, Frösche, Unken, vor Schönheit machen sie fast trunken.“

Okura verdrehte die Augen.

„Unken, Frösche, Kröten, mit ihnen hat man niemals Nöte.“

„Ohne unhöflich wirken zu wollen, der Reitsaurier von Okura hat unlängst zwei unbegabten Barden eine schmerzhafte Fraktion am Steiß-Bereich zugefügt, weil er sehr sensibel auf Dissonanzen in der Sprache reagiert. Sollen wir ihn zu uns holen, oder zeigen sie uns einfach die Ware?“ fragte ich.

Der blass-güne Ton von Frogaras Gesichtsfarbe wurde noch ein wenig blass-grüner.

„Natürlich, natürlich. Selbstverständlich.“ er rieb sich dabei abwechselnd die Hände und den Schweiß von der Stirn.

„In diesem Teich sind unsere Nord-Atlantischen Flugkröten. Sie können bis zu 300m über Teiche gleiten, während sie dabei Insekten und kleine Vögel fangen.“

Er ging durch verschieden beleuchtete und bepflanzte Teichanlagen. Besser er „hüpfte“ durch sie.

„Hier haben wir eine Mischung aus Kröte und einem Raubfisch. Schwimmt sehr schnell, reißt seine Beute nachts unter Wasser, sitzt aber tagsüber im Schlamm am Ufer und fängt Fliegen.“

Okura und ich machten einen interessierten Eindruck.

„Hier sind die letzten Zuchtexemplare der Shredder-Kröten. Eine aussterbende Art atlantischer Kröten. Sie schreddern überwiegend Dinge, die es auch in Yaginam gibt. Da sie seit dem letzten großen Krieg in Atlantis in der Wildnis verboten sind, halte ich sie hier mit Nachzuchten von Yaginam-Insekten am Leben.“

„Yaginam, das ist es!“ rief ich.

Frogara sah mich überrascht an.

„Mein Ansehen bei meinen Klienten würde sich erheblich steigern, wenn ich ihnen etwas aus Yaginam zeigen könnte.“ sagte Jickelson.

„Das geht leider nicht.“ raunte Frogara. „Kröten sind wie alle Dinge und Produkte aus Yaginam in Atlantis streng verboten.“

„Wie streng?“ wollte Okura wissen.

„Sehr, sehr, streng.“ raunzte Frogara.

„1.000 Dominaren streng?“ fragte sie. Fast der Wert eines guten Reitpferdes.

„Mindestens 10.000 Dominaren streng,“ sagte Frogara.

„10.000? Dafür bekomme ich zwei Häuser in den Vororten von Boenia!“ sagte Okura.

„Ja, da haben Sie Recht…. oder eben ganz besondere Kröten aus Yaginam, die wirklich, wirklich Besonders sind.“

„Wirklich?

„Wirklich!“

„Was kostet einer ihrer Reitsauriere?“ fragte Frogara.

„Vernünftig zugeritten und ausgebildet – ca. 24.000 Dominiaren.“ sagte Okura.

Frogaras Augen schienen dem Begriff „Basedowsche Erkrankung“ eine neue Bedeutung geben zu wollen.

„24.000 Dominaren?“

„Für ein durchschnittliches Tier. Ja.“

„Ich zeige Ihnen Beiden jetzt etwas ganz Besonderes, kommen Sie bitte mit mir.“ sagte Frogara.

Sie schritten durch ein undurchdringlich erscheinendes Gestrüpp auf eine Lichtung, die auf beiden Seiten von hohen Felsen eingerahmt wurde. Auf der Lichtung waren zwei sehr große Teiche, die durch metallene, engmaschige Abgrenzungen von der Außenwelt abgeriegelt waren.

„Es muss unter uns bleiben. Davon wissen nur ganz wenige und es dürfen auch nur ganz wenige davon wissen. Es ist – eine besondere Serviceleistung für meine ganz besonderen Kunden.“

Frogara schien eine intime Verbindung zum Wort „Besonders“ zu haben, die sich rational nicht erklären lies. Und uns gewaltig auf die Nerven ging.

„Was haben Sie im ersten Teich?“ fragte ich.

„Etwas ganz, ganz….“

“… Besonderes,“ sagte ich. „Sie können es nicht wissen, aber ich habe eine „Besonders“ Allergie. Ich bekomme unkontrollierte Aggressionen, wenn ich das Wort mehr als fünfmal in fünf Minuten höre. Beim letzten Mal, es war ein einer Hafenbar der Stadt Kastellah, mussten sich gleich zwei Schiffe nach neuem Personal umschauen, weil man mir die „besonderen Vorzüge“ eines zwielichtigen Kartenspiels in einem Nebenzimmer erklären wollte. Erst nach einer Stunde war ich wieder bei Sinnen und fand mich von 8 Hafenpolizisten umringt, die sich nicht trauten, mich anzufassen.“

„Es fängt immer mit diesem eigenartigen Zwinkern an. Ich zeigte auf mein Auge“ – das in dem Augenblick zweimal zwinkerte.

„Bitte entschuldigen Sie, das wusste ich nicht. Eine ganz“ – Okura und Jickelson schauten ihn gespannt an – „ungewöhnliche Situation.“ Zwischen Frogaras zurückweichendem Haaransatz mit dünnen, klebrigen Haaren und der weit ausladenden Stirn, bildete sich ein kleiner Schweißteppich.

„Nachdem das nun geklärt ist, was ist im ersten Teich?“ fragte ich.

„Oh, ja, natürlich. Zauberkröten. Sehr beliebt, sehr selten, sehr verzaubernd und sehr wertvoll.“

„Was verzaubern sie denn, die Kröten?“ wollte Okura wissen.

„Musik. Sie werden von ausgewählten Barden auf unserem Kontinent bevorzugt, da sie einmal in der Woche eine sehr populäre Melodie ersinnen. Sie tragen sie solange vor, bis der Besitzer sie aufgezeichnet und sie vorher und nachher mit ihrer Lieblingsspeise gefüttert hat.“

„Insekten aus Yaginam?“ fragte Okura.

„Weiche, süße Gebäckkugeln. Eine Laune der Natur. Dafür kosten sie auch nur 8.000 Dominaren das Stück.“

Er führte uns näher an den Teich, in dem gleich zwei Kröten wunderbare Kompositionen von sich gaben. Frogara warf ihnen kugelförmige Gebilde zu, die den Mozart-Kugeln auf Nerthus – unserer Erde – ähnelten. Die Tiere verstummten nach einer Weile und zogen sich zufrieden in das tümpelige Wasser zurück.

„Davon nehme ich zwei Stück,“ sagte ich.

Frogara rieb sich die Hände. „Ich müsste auf Barzahlung bestehen.“

„Lassen Sie uns zunächst noch die anderen Kröten anschauen.“

„Trauerkröten aus Yaginam.“ sagte Frogara. „Völlig illegal und bes…., ganz außergewöhnlich aktiv in Atlantis. Die Laute, die sie ausstoßen, versetzen die gesamte Umgebung in Trauer. Menschen und Tiere werden depressiv. Es darf aber auf keinen Fall etwas davon an die Öffentlichkeit kommen.“

Frogara ging zum Teich und hockte sich davor. Er warf einige Futterstückchen ins Wasser und die schwarzen Kröten stimmten in den traurigsten Moll-Tönen ein Konzert des Weltuntergangs an.

„Sie sind sehr geschickt. Sie nutzen die traurige Stimmung aus und flüchten.“ sagte Frogara. „Erst letztlich sind mir zwei bei einem Transport in der Nähe der Sümpfe von Slorgh entwischt.“

Okura und ich schauten uns an.

„Ich glaube, damit machen wir dem Trauerspiel ein Ende.“ sagte ich und stieß einen gellenden Pfiff aus.

Frogara hielt sich seine blaß-grünen Ohren zu, Okura grinste und Ruben Slick, Leiter der Abteilung AIG (Atlantischer Inlandsgeheimdienst) hüpfte gekonnt in perfektem Geheimagent-Dress der Atlantis-Zeit (dunkler Kaftan, edle Dolche links und rechts der Hüfte, polierte Seeschlangen-Sneaker) aus dem Dickicht und sagte die denkwürdigen Worte: “Aus-gequackt, Frogara!“

Okura und ich senkten peinlich berührt den Kopf.

In der Pose blieb Ruben Slick etwa 15 Sekunden stehen um sich zu bewundern, während Frogara die Zeit nutzte, das Weite zu suchen. Er hüpfte an Okura und mir vorbei und blieb an meinem ausgestreckten Bein hängen, stürzte und versuchte sich trotz seines asynchronen Körpers aufzurichten. Mit wenig Erfolg.

Da kam auch schon Ruben Slick heran stolziert. „So, so, Importe aus Yaginam, das wird Großkanzler Oeckie und dem Rest der Regierung nicht gefallen.“

„Euer Großkanzler ist mir völlig gleichgültig. Niemand hat sich um mich gekümmert, als ich hilflos in den Slums von Boenia nach einem Job suchte und nur die Kröten meine Freunde waren. Ich hasse…“

Okuras Faust traf ihn an der Schläfe. Als er auf dem Boden aufschlug, machte er ein Geräusch, als ob ein Sack mit Schlamm auf die Erde gefallen wäre. Sie wischte sich die Rechte an ihrem Hosenbein ab, als ob sie, naja, eine Kröte zerquetscht hätte.

Ruben Slick rief einige Helfer herbei, die Frogara aufweckten und abführten. Ich bekam meine mit ihm vereinbarte Provision von 2 Zauberkröten und wir verstauten sie in einem kleinen Transportbehälter. Sie hatten einen weiten Weg vor sich.

„Kommst Du noch mit auf einen Sprung in die Sümpfe von Slorgh,“ fragte ich sie.

…………………….

Die Sümpfe von Slorgh, südwestlich der zentral gelegenen Hauptstadt Boenia gelegen und an die Wüste der ewigen Stürme angrenzend, waren im wahrsten Wortsinn ein Urwald. Dichte, teilweise uralte Baumbestände, Ranken und Lianen, wohin man schaute, Unterholz und ein modriger Geruch, der durch das Grün waberte. Neben den gut ausgebauten Hauptpfaden gab es zahlreiche Nebenpfade, die auch zu den zahllosen Schlangenteichen führten. Wenn man von diesen Pfaden abkam, wartete tückischer, tiefer und sehr alter Sumpf.

Die Singschlangen von Atlantis waren kuriose Tiere, die sowohl im Wasser, als auch an Land leben konnten. Sie wurden 10 bis 12 Meter lang und erreichten dabei einen Körperumfang von fast einem Meter. Ihre blau-rosa Schlangenhaut die sie abwarfen, war ein beliebter Exportartikel zur Erde, da sie als Trophäe von Großwildjägern alles übertrafen, was man dort fangen konnte.

Ihren Namen hatten die sensiblen Tiere von der Fähigkeit, sich in Gewässern treiben zu lassen und durch ihren hypnotischen, leichtfüßigen, harmonischen und eingängigen Singsang Beute zu machen. Fische, Groß-Kröten und andere Lebewesen bis zur Größe von atlantischen Brassons-Kälbern, die sich in die Sümpfe verirrt hatten, erlagen dem Charme der Musik und wurden leichte Opfer. Die sphärigen Gesänge konnten einem gewaltig auf die Nerven gehen, da sie als Dauerbeschallung durch die Sümpfe von Slorgh tönten.

Als Okura und ich eine Weile auf LexKex, dem Tricepteros Reitsaurier den Hauptpfad genommen hatten, hörten wir statt des üblichen Sphären-Geschwurbels aus einer Richtung einen passablen Blues in der Schlangen-Tonlage.

Nach einigen Hundert Meter über einen wenig ausgebauten Pfad, konnte man dazu noch wesentlich leiser, ein trauriges Gequacke hören, das versuchte, ein Duett mit den Schlangen auszutragen.

Keine Frage, hier waren wir richtig.

LexKex wurde nervös, als wir uns dem Teich näherten und die beiden Gesangsquellen lauter wurden.

Das Dickicht öffnete sich zu einem ca. 400 Meter durchmessende, eliptisch geformten, dunkelgrünen Teich. Das dicht bewachsene Ufer wurde von einem kleinen Pfad umsäumt, der wohl vom Wild angelegt wurde, das zur Wasserstelle wollte. Auf dem See konnten wir drei Singschlangen ausmachen, die ein Dauer-Blueskonzert zum Besten gaben. Immer im Dialog und als Antwort auf die Trauermelodie der Frösche. Beim Blues gibt es tatsächlich eine Spielart, die „Shouting Blues“ heißt und bei der ein Künstler etwas ruft und die anderen antworten mit Gesang darauf.

Das diese Musikform in der Tierwelt bekannt war, überraschte uns.

Wir versuchten, die Quelle der Krötengesänge auszumachen und ritten langsam auf LexKex näher, dem die bluesige Stimmung stark auf das Gemüt zu gehen schien.

Nach 5 Minuten hatten wir die Stelle erreicht. Aus einem relativ flachen Gebüsch kamen zwei traurige Krötenstimmen, die von den Schlangen auf dem Wasser beantwortet wurden. Ich stieg von LexKex und näherte mich dem Gebüsch. Tatsächlich waren zwei Handteller-große, dunkelblaue (sogar die Farbwahl passte) Kröten dabei, die allgemeine Stimmung herab zu ziehen.

Okura ritt auf LexKex näher und sicherte die Umgebung.

LexKex machte seinem Unmut mit lautem Schnauben Luft. Während ich zu den Gepäckhalterungen am hinteren Sattel ging, um die Transportbehälter für die Kröten aus Yaginam zu holen, machte LexKex einen schnellen Satz nach vorne und stampfte dreimal trotzig auf den Boden.

Das Geräusch aus dem Gebüsch verstummte. Das Gebüsch war nur noch wenig höher als der umgebende Boden. Und den beiden Kröten hatte LexKex „die Luft heraus gelassen.“

„Problem gelöst!“ sagte Okura und tätschelte die gewaltige Seite des Tricepteros. Auf dem See kehrte Ruhe ein. Ich schaffte die Überreste als Beweis mittels Stöcken und Blättern in die Transportbox am Sattel.

Als wir gerade wieder auf den Pfad durch den Dschungel zum Hauptweg einbiegen wollten, hörten wir vom See zaghafte sphärisch, hypnotische Gesänge. Die Singschlangen kehrten wieder zu ihrem Genre zurück. Ein Grund mehr für uns, schnell die Sümpfe zu verlassen.

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Okura brachte mich und die beiden Zauberkröten zur Transportpyramide, auf der ich hergekommen war.

„Wann wirst Du wiederkommen, Jick?“

„Mach mir ein verlockendes Angebot und ich sage Dir wann.“ lachte ich.

„In drei Tagen gibt es bei mir ein großes Fest mit erlesenen Speisen und Getränken. Du bist herzlich eingeladen.“

„Ein Fest? Wie heißt es und was ist der Anlass?“

Sie lächelte. „Es ist das John Jack Jickelson Fest und der Anlass ist der Besuch von, naja…“

„Der beste Grund am Fest teilzunehmen.“ sagte ich. „Mal sehen, ob ich dem Schicksal verkauft bekomme, dass ich etwas hervorragenden Rotwein und diesen unverschämt leckeren Gin mitbringen darf, den ich bei ihm getrunken habe.“

„Außerdem will ich mir noch den versprochenen Olemba-Saphir holen. Wenn Du nach der Feier nichts geplant hast – wir brauchen etwa zwei Tage.“

Ich nahm sie in die Arme und gab ihr einen langen Kuss. Dann stieg ich die Pyramide hinauf und begann oben meinen Transitsong, mit dem Krötenbehälter vor meinen Füßen. Ich sah noch, wie Okura mir kurz zuwinkte, bevor ich ins Nichts gezogen wurde.

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Einen Tag später war ich bei Rainy Sunshine in den Hollywood Hills.

Er empfing mich aufgeregt und sah gespannt auf die Transportbox, die ich auf den Tisch vor dem Panoramafenster stellte. Ich öffnete sie und reichte den Kröten einige mitgebrachte Mozartkugeln  mit einem Handschuh aus einer Tüte.

Eine der beiden Zauberkröten stimmte prompt einen Krötengesang an.

Rainy hörte fasziniert zu. „Das hört sich an wie ein Remix der Zauberflöte.“ (Nein, jetzt kein Wortspiel mit Zauberkröte). „Die Zauberflöte. Mozart war einer der populärsten Komponisten und Musiker seiner Zeit, weil er seine Botschaft in eingängigen Melodien und Kompositionen verpackte. Er verstand es, durch seine Harmonien den Ausdruck der Musik so zu verstärken, dass er bei den meisten Menschen ankam. Der unvergängliche Zauber des alten Wien, eine pulsierende Zeit vollere Verve und Leben. Überschäumende Lebensfreude, Glanz und Glamour.“

Er ging zu seinem Flügel und begann zu improvisieren. Die zweite Kröte stimmte ein. Rainy war in einer anderen Welt und komponierte die nächsten 10 Stunden ohne Unterbrechung.

Ich wurde unterdessen bestens bewirtet, genoss den Sonnenschein an seinem Pool und wurde Zeuge der Geburt eines internationalen Hit-Albums, das später als Referenz für unterschiedliche Musikrichtungen gelten sollte. „Simply a Masterpiece from a Master of Music pieces“, wie es bei der Emmy-Verleihung des folgenden Jahres heißen sollte.

Für die Beschaffung der Hit-Kröten wurde ich als Co-Produzent unter Vertrag genommen und verdiente über die Jahre soviel Geld, dass ich kurzzeitig überlegte, von Yoko Ono die Rechte an allen Beatles-Alben zu kaufen.

Großartige Boenia, das Leben ist wunderbar!

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