Um nach Atlantis zu gelangen, hat das Schicksal eine Reisepyramide auf Jickelsons Anwesen platziert. Das ca. 15 Meter hohe Steinwunderwerk befördert Menschen zwischen beiden Dimensionen und Zeitaltern. Das Ergebnis ist bekannt, die Funktionsweise nicht.
Wenn Jickelson reisen will – oder einen Job des Schicksals hat, der es notwendig macht – nutzt er die gelbe Telefonzelle vor der Pyramide. Sie ist ein weiterer Beweis, dass das Schicksal Humor hat. Sie funktioniert nur zwischen den Beiden, andere Anrufe sind nicht möglich.
Die Reise mit einer Dimensionspyramide ist relativ einfach. Sofern man den passenden Song dazu kennt und performen kann. Um nach Atlantis zu gelangen, steigt Jickelson auf den Gipfel der Pyramide, singt einen völlig disharmonischen Transitsong und ist nach wenigen Minuten unterwegs.
Während des Transits trifft Jickelson gelegentlich das Schicksal. Meistens treibt er einfach zwischen den Welten und kommt nach unbestimmter Zeit zwischen den Sternen und Universen an seinem Ziel an.
Die Ankunft erfolgt auf einer identischen Pyramide in Atlantis, einige Kilometer von der Hafenstadt Kastellah entfernt. Die Rückreise erfolgt ebenfalls mit diesem Song und über diese Pyramide.
Wahrscheinlich gibt es weitere dieser Pyramiden auf der Erde unserer Zeit und somit auch auf Atlantis, die aber bisher unbekannt sind.
Die Frage, ob man mit anderen Transitsongs andere Dimensionen, Länder oder Universen erreichen kann, ist offen.
Nur wenige Dutzend Kilometer von der Universität der Elemente entfernt, im Süden von Atlantis, beginnen die Sümpfe von Slorgh. Sie umfassen ein etwa 300 Quadratkilometer großes Gebiet und grenzen im Osten an die Getreideebenen von Pagora. Westlich sind die Ausläufer des Havamalgebirges durch einige Hügel vertreten, während der Fluss Kastellah zwischen beiden nach Süden fließt. Die Ausläufer der Sümpfe enden circa 300 Kilometer vor der Hafenstadt Kastellah.
Die Sümpfe wurden bisher nie komplett erforscht und bergen zahlreiche exotische und bisher nie gesehene Tierarten. Das in sich geschlossene Ökosystem hat nur wenige gangbare Wege, die meistens abrupt enden.
Neben Minisaurieren die überwiegend an den Rändern hausen, Kröten, zahllosen Insektenarten, Sumpf-Vierbeinern aller Couleur und unterschiedlichen Reptilien wie Flugalligatoren und Camouvögeln, finden sich auch Amphibien, die in den zumeist recht flachen Gewässern leben.
Flüchtige Verbrecher und Menschen, die sich verstecken müssen, haben häufig den Weg in die Sümpfe von Slorgh gefunden. Nur nicht mehr hinaus.
Die Sümpfe von Slorgh wurden bisher nie komplett erforscht und bergen zahlreiche exotische und bisher nie gesehene Tierarten. Das in sich geschlossene Ökosystem hat nur wenige gangbare Wege, die meistens abrupt enden.
Neben Minisaurieren die überwiegend an den Rändern hausen, Kröten, zahllosen Insektenarten, Sumpf-Vierbeinern aller Couleur und unterschiedlichen Reptilien wie Flugalligatoren und Camouvögeln, finden sich auch Amphibien, die in den zumeist recht flachen Gewässern leben.
Flüchtige Verbrecher und Menschen, die sich verstecken müssen, haben häufig den Weg in die Sümpfe von Slorgh gefunden. Nur nicht mehr hinaus.
Ein Grund dafür sind die bis zu 15m langen Singschlangen, die mit ihren hypnotischen Gesängen Beute machen. Auch Humanoide können sich dem kaum entziehen und hören als letztes Geräusch in der Gegenwart ein fulminantes Gleiten hinter sich, bevor der Kopf der Singschlange, der bis zu 80cm im Durchmesser betragen kann, dem verwunderten Protagonisten ein schnelles Ende bereitet.
Ansonsten ernähren sich die Singschlagen von Getier jeder Art und haben außer Flugalligatoren und Schleichraptoren – so sie sich denn in die Tiefen der Sümpfe vorwagen – keine natürlichen Feinde.
Der Gesang der Schlangen ähnelt dem Shouting Blues der Erde, ist aber wesentlich psychedelischer, langsamer und wie schon gesagt, hypnotischer.
Die unter bewusstseinsveränderten Drogen stehenden Hippies der späten 60er und frühen 70er Jahre hätten ihre wahre Freude gehabt.
Ein Gerücht scheint allerdings zu sein, dass Bands wie Tangerine Dream und Greatful Death Inspiration auf LSD-Trips direkt aus den Sümpfen von Slorgh hatten.
Bei einem meiner ersten Besuche auf Atlantis, traf ich durch einen sehr angenehmen Schachzug des Schicksals auf Okura. Sie verprügelte gerade einige Wegelagerer, während ihr gezähmter Tricepteros Reitsaurier sich nur mühevoll zurückhalten konnte.
Wir verstanden uns direkt prächtig und wurden ein Paar, während wir auf die Soldaten aus der Hauptstadt Boenia warteten. Bis dahin bewachten wir auch die Utensilien des Schattenagenten aus Yaginam, der die Getreidefelder von Pagora verseuchen wollte. Dazu mehr in der Kurzgeschichte „Brassons Fleisch aus Atlantis.“
Okura ist Anfang dreißig, eine Frau die selbstbewusst und eine exzellente Kämpferin ist. Außerdem eine der wenigen Sauierzähmer auf Atlantis. Ihre Mutter war eine farbige Gladiatorin vom afrikanischen Kontinent, bevor sie nach Atlantis auswanderte. Ihr Vater ist Tutor an der Elemente-Universität von Ellbaragh. Seine Fachgebiete sind experimentelle Magie und Geheimwissenschaften. Die Kombination dieser sehr unterschiedlichen elterlichen Charaktere, spiegelt sich in Okuras Wesen und Auftreten.
Wenn sie bemerkt, dass sie belogen oder betrogen wird, juckt ihr linkes Ohrläppchen Dann sollte man besser ein wenig zurücktreten, da sie eine niedrige Hemmschwelle zwischen einem klärenden Gespräch und dem subtilen Einsatz körperlicher Gewalt hat. Sie hat sich jederzeit unter Kontrolle, allerdings sind die kontrollierten Assets weniger in der Rhetorik und mehr in gewisser Körperlichkeit angesiedelt, die manche als bedrohlich empfinden.
Da es bei mir eher umgekehrt ist, ergänzen wir uns hervorragend.
Ihr Reitsaurier – ein ca. 2,50m großer Tricepteros – heißt LexKex und stammt aus den Urwäldern des heutigen Südamerika. Der Transport des ungezähmten Tieres auf einem wenig vorbereiteten Schiff, war ein Abenteuer, das größere Mengen Holz für Reparaturen während der Überfahrt, den Verlust zweier Mannschaftsmitglieder – die LexKex geärgert hatten und danach nur noch an ihren Gürtelschnallen erkennbar waren – und der weisen Erkenntnis des Kapitäns, in Zukunft solche Fracht rigoros abzulehnen.
Okura lebt in einem abgelegenen Teil eines Vororts der Hauptstadt Boenia. In ihrer Freizeit jagt sie gerne zusammen mit LexKex exotische Großtiere auf Atlantis.
Ich hatte beide Welten gesehen. Die Erde, wie wir sie kennen und die Erde wie sie war, als Atlantis überlebt hatte. Ganz erstaunlich, was der Halb-Kontinent vor der Küste Westafrikas alles zu bieten hatte, an das man heute keinerlei Erinnerung mehr hat.
Brassons Fleisch zum Beispiel. In Sahnesoße angemacht, mit etwas Thymian, Rosmarin, Salz und Pfeffer. Wow! Leider nur in Atlantis zu bekommen. Und leider nur von mir lieferbar. Denn sonst gibt es meines Wissens niemanden, der die Kunst des Weltensprungs beherrscht. Von der Erde wie wir sie kennen, zur Erde mit Atlantis. So einfach, wie Aufzug fahren.
Wahrscheinlich gab es auch noch viele andere Versionen der Erde. Ich konnte nur diese Beiden besuchen. Und zwischen den beiden Erden Dinge hin- und her transportieren. Leider nur in Mengen, die ich ohne Hilfsmittel mitnehmen kann, aber immerhin.
Womit mein Beruf klar ist: Gestatten – John Jack Jickelson, unlizensierter Händler zwischen zwei Versionen von Terra und gefragter Mittelsmann für Waren aller Art. Meine Probleme: mein ziemlich respektloses Mundwerk, meine Allergie gegen Langeweile und mein Faible für schwierige Aufgaben.
Singende Schlafunterlagen vom Markt der Hafenstadt Kastellah? Wieviel dürfen es denn sein?
Die Haut einer Singschlange aus den Sümpfen von Slorgh? 10m oder 12m lang?
Manche Dinge können leider nicht zwischen den Welten transportiert werden. Flug- oder Reitsauriere zum Beispiel. Die Strahlenwaffen aus Yaginam, dem Erzfeind von Atlantis, (machen richtig Platz, würden aber hier das Gleichgewicht der Mächte stören). Das Holz der 24 Stunden Bäume. Na ja und andere Dinge, die hier wirklich viel Geld bringen würden. Viel Geld. Richtig viel.
Manchmal gelingt es mir aber auch, Dinge durch das Tor zu schmuggeln, die eigentlich nicht erlaubt sind. Das passiert meistens dann, wenn ich meinem Mentor, dem Schicksal, geholfen habe, in der einen oder anderen Welt die Dinge in seinem Sinne nach vorne zu bringen.
Wie beim, nun ja, halblegalen Import von Brassons Fleisch aus Atlantis.
Brassons sind ca 1,2 Tonnen schwere mutierte Bisons mit drei Geweihästen, blauen Zungen, Zähnen und leicht bläulichem Fleisch. Sie sind gutmütig, grasen in Herden auf den Weiden um das landwirtschaftliche Zentrum Pagora und sind als gen-optimierte Rasse vom Transport zwischen den Welten ausgenommen.
Frank Sledger, einer meiner Kunden aus dem Gastrogewerbe für elitäre Feinschmecker, hatte mich zu einem zwei Tage Umtrunk in seinem nobelsten Lokal „Bernstein Klause“, das in einem Berg der Tiroler Alpen nahe Innsbruck hinein gebaut war, eingeladen. Seitdem ich ihm eine Flasche „Nebel aus Kastellah“ – einen leicht halluzinogenem Blauwein mit Honig der Bienen der atlantischen Hauptstadt Boenia – mitgebracht hatte, zählte er zu meinen Stammkunden.
Frank lies mich bei bestem Wein und erlesenen Speisen von meinen Erlebnissen in Atlantis erzählen und achtete dabei sehr darauf, was für sein Restaurant und seine obszön reichen Kunden in Frage kommen würde. „Du musst solchen Schwerreichen ständig etwas Exklusives bieten. Dann kommen sie, um zu sehen, was es Neues gibt. Nichts frustriert sie mehr, als die Langeweile.“ Ah, ja.
Irgendwann muss ich in einem Nebensatz etwas über Brassons, extrem leckeres und sehr, sehr proteinhaltiges, leicht bläuliches Fleisch erwähnt haben. Das nahm er zum Anlass für eine umfangreiche Bestellung, für die ich zweimal zwischen den Welten springen musste. Und bei denen ich so viel verdiente, wie ein Facharbeiter in seinem Leben. Ohne Vorruhestand.
Bei den Brassons handelte es sich um urtümliche Bisons mit Haaren, die nach einer magischen Behandlung zu wunderbaren Schlafunterlagen werden konnten und Fleisch, das mit seiner etwas nussigen Note und aphrodisierenden Wirkung einmalig war.
„Wenn in zwei Wochen die Lieferung da ist, garantiere ich Dir den Betrag Cash auf diesem Tisch hier.“
„Dafür wirst Du ihn gegen einen Größeren austauschen müssen,“ antwortete ich und überlegte mir schon mal, welchen Job mir das Schicksal diesmal gab, damit es mir den Transport durchgehen lies.
Der Switch zwischen den Welten ist nur am Gipfel von exakt ausgerichteten und gut erhaltenen Pyramiden aus den richtigen Steinen möglich. Da Gizeh und die Inka-Pyramiden zu abgenutzt waren, hatte ich mir eine eigene, relativ kleine, aber sehr wirkungsvolle, in mein Anwesen bauen lassen. Sie war zwar nur ca. 15m hoch, brachte aber die volle Leistung, die ich benötigte, um auf der West-Pyramide der Hafenstadt Kastellah zu materialisieren.
Ich stieg auf meine Pyramide, aus atlantischen und aktuellen irdischen Materialien, stellte mich auf das kleine Plateau auf der Spitze und hob beide Hände zum Himmel. Das sah ziemlich melodramatisch aus. Besonders wenn ich begann, den 5-minütigen Transitsong zu singen. Eine Kakophonie von Geräuschen, die eine Mischung aus Handshake-Protokoll alter Modems, den Angriffen einer Batterie russischer Katjuscha-Raketen, dem Gurgeln eines galaktischen Abflusses und einem Lied enthielt, das von Qualität und Tonierung etwa bei „Sergeant Pepper Lonely Hearts Club Band“ von den Beatles, angesiedelt war.
Hört sich irre an? Ist es auch.
Kurz vor Ende des Songs hob ich ab, beschleunigte und war unbestimmte Zeit in einer völligen Leere unterwegs. Wahrscheinlich führten andere Transitgesänge zu anderen Pyramiden, auch in andere Welten. Ich kannte nur diesen einen.
Während des Transits traf ich das Schicksal. Fast schon wie ein alter Freund wartete mein Mentor dort zwischen den Welten, saß auf einem thronähnlichen Gebilde, trank besten Rotwein und liebte die Abwechslung. Sagte ich „Abwechslung“? Nein – es war süchtig nach Entertainment. Unterhaltung. Aufregung. Adrenalin! Das musste es auch, denn sein Job war, die Zivilisation der Menschen in beiden Welten voranzubringen. Gegen Langeweile, Müßiggang, Rückschritt und Dekadenz zu kämpfen.
Dazu brauchte es Menschen wie mich, die bereit waren All-In zu gehen und ebenfalls regelmäßig extravaganten Nervenkitzel brauchten.
„Nervenkitzel“ war übrigens die Untertreibung des Jahrhunderts, wenn es um einen Sprung zwischen zwei Parallelwelten in unterschiedlichen Universen ging.
Gefangen im zeitlosen Nichts traf ich also das Schicksal. Wir hatten ein gutes Verhältnis, sofern man das von einem „Master and Servant“ sagen kann.
„Willkommen zurück, John Jack. Wie ich sehe, entwickeln sich die Dinge gut bei Dir. Ich denke, Du hast ein Anliegen?“ sagte es und nippte an einem epischen Kelch mit wunderbar tiefrotem Rotwein.
Die sonore Bassstimme schien über Äonen zu reichen und lies jede Zelle meines Körpers vibrieren.
„Ehrenwertes Schicksal, ich würde mich freuen, für Euch einen Auftrag erledigen zu dürfen und im Gegenzug dafür zwei Transporte Brassons-Fleisch zu meiner Version der Erde bringen.“
„Deine Version der Erde heißt „Nerthus“. Die, in der Atlantis aktiv ist, „Boenia“, wie die Hauptstadt von Atlantis.“
„Verstehe. Wie kann ich Euch helfen, schicksalhafte Dinge in Boenia – oder Nerthus, als Leistung für mein Anliegen zu tun?“
„Setzt Euch zu meinen Füßen und genießt einen Kelch dieses wunderbaren Rotweins aus dem Portugal Eurer Zeit.“
Das hatte ich bisher noch nicht erlebt. Wenn das Schicksal mit mir einen trinken wollte, dürfte der Job anspruchsvoll werden.
Der Wein war unglaublich gut. Zu Füßen seines Throns mit dem Schicksal einen „dicke Socken Wein“ – wirklich schwer und gehaltvoll, tief und mit unzähligen Nuancen – zu trinken, hatte schon etwas. Ach ja: „dicke Socken Wein“ trinkt man am Liebsten, wenn man dicke Socken trägt, also in der kalten Jahreszeit.
„Yaginam will Atlantis mit genmutierten Chemikalien angreifen und die Zivilisation zerstören. Das ist so mit uns nicht abgesprochen. Ein „Schatten“ Agent ist auf dem Weg zu den Bewässerungskanälen von Pagora und will vergiften. Die Felder sollen mit genetisch verunreinigtem Wasser verseucht werden. Halte ihn auf, bevor ihm das gelingt, und ich sage Dir die Lieferung Brassons-Fleisch zu. Ich führe Dich zu dem Agenten.“
Ich konnte mir relativ wenig unter einem „Schatten“-Agenten vorstellen, generell aber schlecht „Nein!“ sagen und stimmte deshalb zu. Nachdem wir noch ein wenig über weltliche Dinge wie Politik, Wirtschaft und Fußballergebnisse gesprochen hatte, trank ich meinen Kristallkelch aus, verneigte mich vor dem Schicksal und war wieder in der Leere unterwegs.
Bis ich irgendwann auf dem Plateau der Westpyramide der Hafenstadt Kastellah materialisierte.
Ich hatte noch den Geschmack des fantastischen Rotweins im Mund, als ich von der fast 80m hohen Pyramide herabstieg und ein Reitkamel bei einem der Ställe unweit des Monuments mietete. Eins der Dinge, die ich an Atlantis wirklich liebte, war das fantastische Klima. Maritim, weil der Halbkontinent vom Meer umgeben war, beinahe das ganze Jahr über sehr warm, mit Ausnahme der schneebedeckten Gebirgszüge im Norden und Nord-Westen und dank ausgeklügelter Bewässerungskanäle und Klima-Modifikationen waren die Pflanzen fast immer im vollen Saft. In vielerlei Hinsicht kam Atlantis dem Idealbild vom Paradies sehr nahe.
Auf dem Weg nach Pagora und zu den Bewässerungskanälen, wurde ich Zeuge einer ziemlich wüsten Schlägerei, bei der eine kahl rasierte, tätowierte Endzwanzigerin mit ärmellosem dünnem, dunkel-violetten Lederwams und schwarzen Lederhosen, vier Wegelagerer verprügelte. Während sie gleichzeitig versuchte, ihren Reitsaurier davon abzuhalten, die Unholde kurzerhand zu verspeisen. Ihr Kurzschwert steckte in einer Metallschutzhülle an ihrem rechten Oberschenkel, aber sie machte keine Anstalten, es zu ziehen.
„Kann ich helfen?“ fragte ich von meinem Kamel herab und schaute interessiert zu.
„Manchen Spaß möchte man nicht teilen!“ rief sie und versetzte einem der Wegelagerer einen Roundhouse Kick, auf den Chuck Norris stolz gewesen wäre.
Nach drei Minuten war der sehr einseitige Kampf beendete, die Gegner im Staub und die Frau dabei, sie zu plündern.
„Nichts von Wert dabei, dieser Genmüll. Ich heiße Okura und grüße Dich. Danke, dass Du mir den Spaß gelassen hast.“
„John Jack Jickelson, Händler zwischen den Welten und Diener des Schicksals,“ lachte und stellte ich mich vor.
„Du trägst dick auf für einen schmächtigen Mann auf einem gemieteten Kamel.“
Sie ging zu ihrem Reitsaurier und fütterte ihn mit Brassons-Fleisch. Er musterte mich unverwandt und schien seine Chancen abzuschätzen, noch ein Häppchen Jickelson als Dessert zu bekommen.
Reitsauriere waren in Atlantis äußerst selten. Ein ausgebildetes Tier kostete ca. 24.000 Dominaren – etwa der Preis von drei Mehrfamilienhäusern in der Hauptstadt Boenia.
Der Triceratops, auf dem Okura ritt, hatte in der Kreidezeit eine Größe von bis zu neun Meter erreicht und war in Atlantis noch immer knapp 2,50 Meter groß! Seine beiden spitzen Hörner waren gefährliche Angriffswaffen und der Knochenwall, der aus seinem Nacken wuchs, schützte den Reiter vor Fernangriffen.
„Wo willst Du hin?“ fragte ich sie.
„Ich bin auf dem Weg zu den Kanälen von Pagora. Dort soll es Anomalien geben, die Atlantis gefährden.“
„Erstaunlich. Das ist auch mein Auftrag. Ein Agent aus Yaginam…“ begann ich,
“… plant die Kanäle und Bewässerung der Felder zu vergiften. Ein Schatten.“ vollendete sie.
Wir schauten uns an.
„Das Schicksal scheint uns zusammengeführt zu haben.“ sagte ich.
Dann schauten wir beide nach oben, weil wir im gleichen Augenblick meinten, eine sonore Bassstimme lachen zu hören.
Wir stiegen auf unsere Reitgefährte und wir ritten los.
Knapp eine Stunde später erreichten wir eine der Brücken, die auf die Felder von Pagora führte. Die Bäume links und rechts der beiden Brücken-Seiten wirkten krank und ohne Energie. Wir wussten, dass wir auf dem richtigen Weg waren.
Nachdem wir sie überquert hatten, sahen wir schattenhafte Bewegungen in der Niederung zum Hauptkanal. Sie endeten abrupt, als wir uns näherten. Die niedrigen Büsche und hohen Bäume, die gerne an Wasserstraßen gedeihen, sahen ähnlich leblos aus, wie die Bäume an der Brücke.
Wir stiegen ab und Okura zog ihr Kurzschwert mit schwarzer, aufgerauter Klinge aus dem Wams. Ich erkenne Qualität, wenn ich sie sehe, und das war eine besonders edle Waffe. Als wir uns der schattenhaften Stelle näherten, konnten wir selbige – nämlich schattenhafte – Bewegungen sehen. Die mit einem wenig schattenhaften Behältnis hantierten, das sie wohl nicht öffnen konnten.
„Billiger Mist. Das man mich mit so etwas losschickt. Erst undicht werden und sich dann nicht öffnen lassen. Aarrghhh.“ zischte der Schatten.
„Können wir in irgendeiner Form helfen?“ fragte ich, als wir näher kamen. „Die Tücken der Technik. Ich hatte ein ähnliches Problem, als ich letztlich versuchte, mein Schwert zu ziehen. Es blieb einfach im Holster stecken! Unglaublich.“
„Aber Ihr habt doch gar kein Schwert.“ zischte eine Stimme aus dem Schatten.
„Seitdem begleitet mich Okura. Sie ist Meisterin im Ziehen von Waffen. Schaut nur!“
Okura näherte sich von der einen, ich von der anderen Seite. Die Tarnung des Schattens, war nicht übel, was ihm aber nicht viel nützte, da er nicht besonders helle war. Mir huschte kurz der Gedanke „Das ist eine Beleidigung meiner Intelligenz“ durch den Kopf, sah aber dann, dass ich ihn unterschätzt hatte.
Er verschwand in einem Lichtblitz. Gleichzeitig gab es einen lauten Knall. Okura und ich waren für einige Augenblick blind und wir hatten das „Testbild“ in den Ohren. Ein lautes, intensives Pfeifen, dass durch den Knall hervorgerufen wurde. Okuras Reitsaurier schreckte ebenfalls zurück, war aber deutlich belastbarer als wir. Mit einem lauten Brüllen setzte er seinen 2 Tonnen-Körper in Bewegung und raste auf den Schatten zu.
Der war wohl selbst von seinem Blitz und Knall geblendet – die Waffe schien nicht ganz ausgereift – und stolperte auf uns zu.
Noch bevor der Reitsaurier den Schatten erreichte, pfiff ihn Okura zurück. Ich habe keine Ahnung, wo die Frustschwelle bei diesen Tieren lag. Nach so vielen Verboten anzugreifen, schien aber nicht mehr viel Luft nach oben zu sein.
Es sieht befremdlich aus, wenn Schatten beim Laufen Haken schlagen. Unwirklich und doch faszinierend. Mit einer Handvoll Feuerwerksstaub wollte er Okura ablenken. Was sie aber nicht davon abhielt, zwei schnelle Schritte nach vorne zu machen und ihn an der Kapuze festzuhalten. Sie riss ihm den Kopfschutz vom Kopf und machte einen Schritt zurück.
Der Gestank darunter war fast unerträglich. Im gleichen Augenblick löste sich der Schatten auf. Wortlos. Kein melodramatischer Schrei, keine Leuchterscheinung. Nicht mal ein gestöhntes „Aaahhhhh“. Ziemlich billig. Nur sein Gewand fiel zu Boden. Und ein paar amorphe – Dinge, die entfernte Ähnlichkeit mit Gliedmaßen hatten.
Der Behälter mit der tödlichen Flüssigkeit stand schief. Eine widerliche grün-glibbrige Substanz tropfte auf den Boden. Es stank nach konzentrierter Gülle, Chemie, vergammeltem Fisch und Verderben. Da, wo sie auf den Boden traf, sah es aus und roch wie der Tod.
Vorsichtig stellten wir den Behälter in eine Lage, bei der keine Flüssigkeit mehr auslief.
Okura zog ihren Kommunikationskristall aus dem Wams. Was bei uns Handys und Tablets, sind auf Atlantis modifizierte Steine, die über die Energiekanäle der Pyramiden verbunden sind. Sie machten zwar keine Fotos, funktionierten aber, indem man an den Empfänger dachte. Okura sprach mit Andres, einem Offizier der Elitetruppen von Großkanzler Oeckie, der sich sofort mit einem Trupp aus der Hauptstadt Boenia auf den Weg machte.
Nun, was macht man in der Zeit, bis am nächsten Tag die Truppen eintreffen? Man kommt irgendwie ins Gespräch, lernt sich kennen, ruht sich aus, isst und trinkt von den Vorräten, die man bei sich führt und liebt sich. Mehrfach. Es dauert wirklich lange, bis eine berittene Einheit von Boenia bei den Kanälen süd-östlich von Pagora eintrifft.
Sehr entspannt übergaben wir dem Offizier Andres die Überreste des Schattens und den Behälter. Dieser wurde auf einem für chemische Einsätze präparierten Metallkasten auf einem stabilen Anhänger durch die Truppen des Großkanzlers Truppen abtransportiert.
Wir kauften das Brassons-Fleisch für die Bernstein-Klause und verabredeten uns für die kommende Woche in Kastellah.
Die zwei Transits zu Nerthus verliefen ohne besondere Zwischenfälle. Frank Sledger war außer sich vor Freude und zwei seiner Mitarbeiter luden den erheblichen Betrag in mehreren Koffern auf den Tisch vor mir. Zusammen mit einer Einladung auf Echtgold-Folie, zu einem Schlemmerwochenende in die Bernstein Klause für mich und eine Begleitung.
Bevor ich mich jedoch mit Okura treffen konnte, bekam ich einen schicksalhaften Auftrag. In den Sümpfen von Slorgh sollte eine 20m lange Singschlange ihr Unwesen treiben.
In den weitläufigen Weinanbaugebieten im Süden von Atlantis, wachsen die Trauben für einen ganz besonderen Wein: den „Nebel von Kastellah“.
Ein Wein mit dunkelblauer Farbe, von der Konsistenz zwischen einem guten Shiraz und Himbeersirup, einem Geschmack nach süßen Beeren, Vanille und einer sehr leichten Moschusnote. Das bevorzugte Getränk für viele Nachtschwärmer, die nicht auf die üblichen leichten Drogen setzen, sondern sehr sanfte Halluzinationen haben wollen.
Er war mit Honig der Bienen aus der Hauptstadt Boenia versetzt, was seinem Geschmack eine besondere Note gab.
Eine weitere Besonderheit ist ein Inhaltsstoff, den es nur bei diesen Beeren gibt und bei manchen Menschen einen Blick in die Zukunft während dem Genuss spendiert.
Der „Nebel von Kastellah“ wird zur Therapie bei Schwermütigkeit, als divinatorisches Getränk, oder einfach nur zum Vergnügen getrunken.
Besonders beliebt sind die 3-Tage Retreats, die in einige Sanatorien angeboten werden. Unter unaufdringlicher Aufsicht, wird hier drei Tage lang als einziges Getränk der Blauwein getrunken. Erlesen Speisen, angenehme Gesellschaft, Musik und ärztliche Hintergrundbetreuung inklusive.
Manche Flüsterkneipen im Hafen von Kastellah bieten ganz eigene Retreats mit netter weiblicher Gesellschaft, rezitierenden Künstlern, aufspielenden Musikanten und sehr gekonntem Taschendiebstahl. Hier hat der Retreat die zusätzliche Eigenschaft, die Teilnehmer von der Bürde der materiellen Last zu befreien. Was nicht immer erwünschet, aber bedauerlicherweise ein Teil des Geschäftsmodells in den Kneipen ist.
Der Wein ist im ganzen Land geschätzt, schmeckt aber nirgends so gut, wie in der Region Kastellah.
Der Blick über Los Angeles aus einer sündhaft teuren Villa in den Hollywood Hills wirkt auf manche Menschen berauschender als eine Nase unverschnittener Koks direkt vom kolumbianischen Produzenten. Schon die Fahrt über den Mulholland Drive gibt einem das Gefühl, nicht mehr als normal Sterblicher zu gelten und zu einer privilegierten Minderheit zu gehören.
Rainy Sunshine, ein bekannter Singer und Songwriter, mit dem ich seit einigen Jahren gut befreundet war, hatte mich eingeladen und stand jetzt neben mir am 15 Meter hohen Panoramafenster. Wir nippten an allerfeinstem Gin, während wir auf die Lichter der Metropole schauten und an die zahllosen Abenteuer dachten, die dort in jedem Augenblick passierten.
„Trotzdem habe ich keine Geschichten mehr zu erzählen,“ sagte Rainy. Er hatte seine Nische im Musikbusiness vor etwa 10 Jahren gefunden – den „fröhlichen Blues“ und war damit innerhalb weniger Jahre zu fast schon ordinärem Wohlstand gekommen.
„Du hast ausgesorgt. Mit dem, was Du mit Deiner Musik verdient hast, kannst Du bis an das Ende Deiner hoffentlich noch zahlreichen Tage, herrlich und in Freuden leben“, sagte ich.
„Das mag sein. Was mir fehlt – und das schon seit mehr als einem Jahr, ist das Gefühl, wenn meine Fans mir wegen eines neuen Hits zujubeln. Das Gefühl, wenn ein Titel die Charts hochläuft, wenn ich zu elitären Interviews eingeladen werde, wo ich meinen Fans meine Message mitteilen kann: das Leben ist gut! Selbst wenn es nicht gut läuft, ist nicht alles schlecht. Holt Euch das Beste aus eurem Leben und habt Freude daran!“
„Verständlich. Es ehrt Dich, nicht nur an das Geld zu denken, sondern weiterhin Deiner Bestimmung zu folgen.“
„Erinnerst Du Dich an unser vorletztes Treffen?“ fragte Rainy.
„Die Poolparty, wo wir gegen zwei russische Oligarchen-Töchter Wasser-Volleyball gespielt haben? Ich habe zwei Tage gebraucht, bis sich meine erschöpften Hüften wieder erholt haben.“
„Genau“, sagte Rainy und setzte sich mit seinem Gin in einen Sessel mit Blick auf die Stadt. Er musterte mich, als ob er mich zum ersten Mal sehen würde. „Du bist doch – wie heißt das – Weltenspringer zwischen der Erde wie wir sie kennen und der mit Atlantis?“
„Und soweit ich weiß, der einzige auf diesem wunderbaren Planeten.“
„Erinnerst Du Dich an die Geschichte mit den Zauberkröten, die bei den Barden in Atlantis so beliebt sind?“
Das hatte ich ihm in ziemlich angebrüteten Zustand, bei beginnender Morgendämmerung in einem Liegestuhl erzählt, während die beiden Oligarchen-Töchter schon sanft schliefen. Die Zauberkröten komponierten jede Woche ein neues, erfolgreiches Lied, dass sich durch ihre empathischen Fähigkeiten jeweils nach dem Genre und der Persönlichkeit ihres Besitzers richtete.
In den Vororten von Boenia, der Hauptstadt von Atlantis, lebte ein Froschzüchter, der diese und andere Spezial-Frösche für sehr viel Dominaren verkaufte und entsprechend wohlhabend war.
Ich nickte versonnen.
„Besorg mir eine von ihnen und ich zahle Dir, was Du willst.“ sagte Rainy.
Während mein Unterbewusstsein die dauernden Geräusche einer klingelnden Registrierkasse (Ka-Tsching) in mein Oberbewusstsein schickte, runzelte ich die Stirn.
Wie sollte ich das dem Schicksal erklären?
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Mein Haus steht ziemlich versteckt auf einem ca. 25ha großen Waldgrundstück im deutschen Allgäu. Neben dem Herrenhaus und einigen kleinen Nebenhäusern ist eine ca. 18m hohe Pyramide u.a. aus versilberten Spezialsteinen das herausragende Objekt.
Am Fuße der Pyramide mit der ich zwischen der Erde und Atlantis pendele, hat das Schicksal – immer zu einem Scherz aufgelegt – eine gelbe Telefonzelle installiert. Mit dem Telefon kann ich nur eine Rufnummer erreichen – ja, die des Schicksals (das war vorhersehbar, na gut). Das nach 60er und 70er Jahre Design des kalten Kriegs auf der Erde aussehende Kommunikationstool, passte so gut in mein Anwesen, wie ein Spanferkelspieß auf eine Veganer-Party. Als erfahrener Verkäufer nahm ich die kleinen Spleens meiner Kunden aber ernst und trat ein.
Ich wählte die Nummer und das hörte am anderen Ende:
„Jickelson, schön dass Du anrufst. Ich hatte erst vor Kurzem an Dich gedacht.“ sagte das Schicksal. Komm doch auf einen Sprung vorbei und lass uns über Dein Anliegen und mein neues Projekt reden.“
Es hat immer etwas Erfrischendes mit Wesen zu reden, die bereits wissen, was man sagen will und die seit Äonen Erfahrung mit der menschlichen Psyche haben.
Ich stieg auf die Pyramide, begann mit meinem völlig disharmonischen Transit-Song und war nach ca. 10 Minuten unterwegs. Wo und wie ich genau reiste? Keine Ahnung.
Nach der halben Reisezeit stand ich vor dem Thron des Schicksals und verbeugte mich.
„Steh doch auf und komm zu mir. Nimm auf dem Hocker am Fuße meiner bescheidenen Sitzgelegenheit Platz,“ sagte das Schicksal aus ca. 3 Meter Höhe von seinem Prachtthron herunter.
Nicht dass ich ein Ego-Problem habe, aber unter diesen Umständen selbstbewusst aufzutreten, war eine ganz besondere Herausforderung.
„Ich kenne bereits Dein Anliegen. Du willst zwei Zauberkröten aus Atlantis für einen Freund in Los Angeles besorgen, damit er wieder erfolgreich wird. – Bei dem Gin hätte ich allerdings eine andere Marke gewählt“, sagte es und reichte mir ein Kristallglas, das nach überirdischer Schleifkunst aussah.
Ich mag es nicht, wenn man mich bespitzelt. Ich mag es auch nicht, wenn man mir dauernd über die Schulter schaut oder versucht, meine Freiheit einzuschränken. Deshalb improvisierte ich schnell ein wenig, um das Schicksal von seinem hohen Ross – bzw. Thron zu holen.
„Was wäre denn der Preis für zwei Zauberkröten und einen Olemba-Saphir?“
„Was?“
„Was wäre denn der Preis für zwei Zauberkrö….“
„Das habe ich verstanden, aber von einem Olemba-Saphir war nie die Rede,“ sagte das Schicksal.
„Bis jetzt hatten wir ja auch noch nicht geredet, sondern Du hast nur bei mir zugehört, bzw. zugesehen. Den Saphir will ich für meine Sammlung von Atlantis Artefakten, die wir brauchen, um die Erde vor dem Atlantis-Schicksal zu retten. Sie ist noch sehr klein und wie Du weißt, wird mit jedem Artefakt mehr positive Energie auf die Erde übertragen.“
„Kommt nicht in Frage! Zuviel Energie kann das Gegenteil bewirken.“
„Denk doch mal an die vielen guten Dinge, die wir damit bewirken könnten.“
„Nein.“
„Es gibt zahllose Olemba-Saphire auf Atlantis, da kommt es doch auf einen nicht an.“
„NEIN.“
„Also es kommt nicht darauf an?“
„Doch, aber meine Antwort lautet NEIN!“ wurde das Schicksal lauter und beugte sich ein wenig zu mir herunter.
„Schade, dafür hätte ich gleich einen weiteren Auftrag gegen Yaginam zusätzlich angenommen.“ sagte ich.
„Gegen Yaginam? Dieses kleine Hegemonialvolk auf der Atlantis Welt verstößt regelmäßig gegen unsere Vereinbarungen. Du weißt, dass Du bei einem Misserfolg nach Yaginam gebracht werden kannst und keine Möglichkeit zur Rückreise über eine Pyramide hättest?“
Daran hatte ich nicht gedacht, aber was soll´s. Der Gegenspieler von Atlantis war mir nie besonders clever vorgekommen, warum sollte sich das geändert haben?
Das Schicksal wirkte nachdenklich.
„Folgender Deal: Frogare, ein Froschzüchter- und -händler in der Hauptstadt Boenia ist öfter auffällig geworden, weil er immer wieder versucht, illegale Frösche aus Yaginam zu importieren und verkaufen. Wenn Du ihn überführst, bekommst Du die Zauberkröten. Zweiter Teil: einige Singschlangen in den Sümpfen von Slorgh singen seit Tagen keine fröhlichen und harmonischen Lieder mehr, sondern nur noch trübsinnigen Blues. Der ganze Sumpf wird noch depressiv. Finde heraus, woran das liegt und beseitige es. Dann bekommst Du Deinen Olemba-Saphir.“
Ich hatte gerade noch Zeit, meinen Gin auszutrinken, als ich auch schon wieder auf dem zweiten Teil meiner Reise nach Atlantis war.
Ich materialisierte in Atlantis bei schönstem Mittelmeerwetter auf der Spitze einer Pyramide, die relativ versteckt in einem Waldgebiet aus tropischen Bäumen stand. Mein Landhaus war 10 Minuten entfernt und auf dem Weg dorthin, rief ich meine Partnerin Okura mit dem Steinkommunikator an, die als Saurierzähmerin ein florierendes Geschäft betrieb.
„Jick, Du warst über einen Monat weg. Fast hätte ich Dich vergessen!“
„Sagte die schmachtende Partnerin zu ihrem außergewöhnlichen Freund.“
„Im Ernst, ich hatte so viel um die Ohren, dass ich kaum Zeit hatte…“
“… an unser Abenteuer mit dem Schatten von Yaginam und den Springschnecken zu denken?“
„Willst Du vorbeikommen?“ fragte sie.
„In zwei Stunden bin ich da. Reitgelegenheit habe ich bereits bestellt, in 20 Minuten sitze ich im Sattel. Mach etwas Zeit frei in den nächsten Tagen, ich habe interessante Jobs für uns.“
„Ich freue mich auf Dich.“ sagte sie und beendete das Gespräch.
Ich mag toughe Frauen, die nicht nur gut aussehen und clever sind, sondern auch noch gerne mit mir zusammen sind.
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Professionell angelegte Krötenteiche haben etwas Urweltliches. Man wartet förmlich darauf, dass aus der Ursuppe der veralgt und vermodert aussehenden Tümpel mit einem Durchmesser von bis zu 50 Metern, langarmige, zottelige, grüne Monster in beachtlicher Größe steigen, um einen mit schlechtem Atem und stinkenden Abfällen zu vertreiben.
Die Teiche von „Frogalas Kröten aus eigener Zucht“ machten da kaum einen Unterschied. Mehr als 40 dieser Tümpel konnten man vom Gipfel des Hügels sehen, auf dem das Anwesen des sehr wohlhabenden Züchters stand. Okura und ich hatten uns mit ihm verabredet, um eine Ausstattung besonderer Kröten für unsere eigenen Zwecke zu beschaffen. So die offizielle Version.
Um sehr schnell mit dem auf dem ganzen Kontinent bekannten Züchter von zum Teil sehr seltener Kröten überhaupt einen Termin zu bekommen, hatte es der Intervention von höchster Stellen bedurft. Selbst Großkanzler Oeckie wurde über einen Sonder-Gesandten involviert. Da es sich um eine Frage der nationalen Sicherheit handelte, unterstützte er uns gerne.
Lenne de Penne, der Gesandte des Großkanzlers, machte die Dringlichkeit unseres Besuchs deutlich. Der adlige Philantrop und erfahrene Diplomat, war derzeit im Dienste der Regierung bei einer Umsetzung von kontinentalen Veranstaltungen junger und wenig erfahrener Künstler tätig, an deren Ende jeweils der „Atlantische Barde des Jahres“ gekürt wurde.
Frogara war ein Sponsor dieser Veranstaltungsreihe und wir somit recht schnell mit ihm im Gespräch. Nach kurzer Zeit hatten wir einen Termin, bei dem wir uns nach einigen besonderen Exemplaren seiner Frösche für unser Anwesen und für unsere Ausstellung der besten Reitsauriere anschauen wollten. Die schnell zusammengewürfelte Story hielt seinen Fragen stand, da er mehr an unseren Dinaren, als an uns interessiert war.
Okura und ich stiegen von LexKex, ihrem Reitsaurier. Der kapitale Tricepteros mit einer Risthöhe von etwas über 2,50 Meter trug uns beide mühelos. Sein Knochenschild im Nacken hielt uns am Ende der Reise sogar einen Teil der nervigen Insekten vom Leib, die um die sommerlichen Gewässer schwärmten. Seine beiden ca 50 Zentimeter langen Hörner, waren furchteinflößende Waffen, die dem Pflanzenfresser in der Kreidezeit erfolgreich Gegner vom Leib gehalten hatten. Gleiches hatte er schon mehrfach für Okura getan, die ihn vor etwas mehr als 2 Jahren gezähmt hatte.
Lenne de Penne war bereits vor uns eingetroffen. Seine bunte, aber stilvolle Bekleidung hätte ihm in unserer Zeit die Bezeichnung „Paradiesvogel“ eingebracht. In Atlantis unterschied er sich von den meisten anderen Barden vor allem durch die Qualität der Bekleidung und sein distinguiertes Verhalten.
Das unterschied ihn auch von Frogala.
Der Krötenhändler schien im Laufe der Jahre mehr und mehr die Form seiner Zucht- und Handelsware angenommen zu haben. Als er seine dicken, schwulstigen Lippen beim Reden bewegte, imitierte Okura ihn unwillkürlich. Seine Haut hatte einen ungesunden Grünton, der sich bis in das ehemals Weiße seiner Augäpfel fortsetzte. Die gelb-grünen Pupillen zuckten beim Reden hin und her, als ob er nach Insekten Ausschau hielt.
Mit etwas Mühe bewegte er seinen schwabbeligen Körper, der nur mühsam durch wallende, durchweg in dunklen grün-braun gehaltene Gewänder verdeckt war, in schwarzen, matten Stulpenstiefelchen die Treppe hinunter.
„Welche Ehre für mich, so hoher Besuch in meinen bescheidenen Teichen!“ Der Mann identifizierte sich wirklich mit seinem Job.
Er verbeugte sich vor Lenne de Penne, der ihm kurz zunickte, musterte Okura mit einem längeren Blick, während er sich unterbewusst mit der fleischigen Zunge über die Lippen leckte und schaute etwas keck zu mir. „Ein Exot, genau wie ich. Nur anderes.“ Er bleckte seine gelben Zähne, was wohl ein Lächeln sein sollte. Dabei tastete er nach meinen Blue Jeans.
„Welch rauher, doch feiner Stoff. Das Blau, das Blau, so…“
„Blau?“ ergänzte Okura.
„Ich hoffe, es ist ok für Sie, wenn ich ein wenig in Ihren Haaren spiele, während Sie weiter an meiner Hose fühlen? Mein Name ist John Jack Jickelson. Meine Freunde nennen mich Jick.“ fragte ich und schaute Frogara unverwandt an.
Der wich einen Schritt zurück und blinzelte, als ob er auch einem Traum aufwachte.
„Verzeihung, Sie haben Recht. Ich bin unhöflich.“ Er starrte wieder kurz Okura an, die knapp zwei Köpfe größer war als er. „Was ist der Anlass für Ihren Besuch?“
„Meine Partnerin und ich planen eine exklusive Ausstellung unserer Ware und eine Art Ausstellung für alte und neue Kunden. Dafür lassen wir einen Großteil unseres Anwesens neu anlegen und wollen unsere Klientel mit wirklich ausgefallenen und sehr besonderen Kröten überraschen. Wirklich sehr ausgefallen und sehr, sehr besonders.“ sagte ich.
„Der Preis spielt keine Rolle. Wir möchten nur Kröten, die man bisher noch nicht in unserer Region rund um Boenia gesehen hat.“
„Oh, Sie wohnen auch in der Hauptstadt?“ flötete Frogara. „Dann lassen Sie uns doch einen kleinen Rundgang bei den Exotenteichen machen.“
Während sich Lenne de Penne mit wichtigen Terminen entschuldigte und auf sein schwarzes atlantisches Rassepferd stieg, redete Frogara beinahe ohne Luft zu holen.
„Kröten, Frösche, Unken, vor Schönheit machen sie fast trunken.“
Okura verdrehte die Augen.
„Unken, Frösche, Kröten, mit ihnen hat man niemals Nöte.“
„Ohne unhöflich wirken zu wollen, der Reitsaurier von Okura hat unlängst zwei unbegabten Barden eine schmerzhafte Fraktion am Steiß-Bereich zugefügt, weil er sehr sensibel auf Dissonanzen in der Sprache reagiert. Sollen wir ihn zu uns holen, oder zeigen sie uns einfach die Ware?“ fragte ich.
Der blass-güne Ton von Frogaras Gesichtsfarbe wurde noch ein wenig blass-grüner.
„Natürlich, natürlich. Selbstverständlich.“ er rieb sich dabei abwechselnd die Hände und den Schweiß von der Stirn.
„In diesem Teich sind unsere Nord-Atlantischen Flugkröten. Sie können bis zu 300m über Teiche gleiten, während sie dabei Insekten und kleine Vögel fangen.“
Er ging durch verschieden beleuchtete und bepflanzte Teichanlagen. Besser er „hüpfte“ durch sie.
„Hier haben wir eine Mischung aus Kröte und einem Raubfisch. Schwimmt sehr schnell, reißt seine Beute nachts unter Wasser, sitzt aber tagsüber im Schlamm am Ufer und fängt Fliegen.“
Okura und ich machten einen interessierten Eindruck.
„Hier sind die letzten Zuchtexemplare der Shredder-Kröten. Eine aussterbende Art atlantischer Kröten. Sie schreddern überwiegend Dinge, die es auch in Yaginam gibt. Da sie seit dem letzten großen Krieg in Atlantis in der Wildnis verboten sind, halte ich sie hier mit Nachzuchten von Yaginam-Insekten am Leben.“
„Yaginam, das ist es!“ rief ich.
Frogara sah mich überrascht an.
„Mein Ansehen bei meinen Klienten würde sich erheblich steigern, wenn ich ihnen etwas aus Yaginam zeigen könnte.“ sagte Jickelson.
„Das geht leider nicht.“ raunte Frogara. „Kröten sind wie alle Dinge und Produkte aus Yaginam in Atlantis streng verboten.“
„Wie streng?“ wollte Okura wissen.
„Sehr, sehr, streng.“ raunzte Frogara.
„1.000 Dominaren streng?“ fragte sie. Fast der Wert eines guten Reitpferdes.
„10.000? Dafür bekomme ich zwei Häuser in den Vororten von Boenia!“ sagte Okura.
„Ja, da haben Sie Recht…. oder eben ganz besondere Kröten aus Yaginam, die wirklich, wirklich Besonders sind.“
„Wirklich?
„Wirklich!“
„Was kostet einer ihrer Reitsauriere?“ fragte Frogara.
„Vernünftig zugeritten und ausgebildet – ca. 24.000 Dominiaren.“ sagte Okura.
Frogaras Augen schienen dem Begriff „Basedowsche Erkrankung“ eine neue Bedeutung geben zu wollen.
„24.000 Dominaren?“
„Für ein durchschnittliches Tier. Ja.“
„Ich zeige Ihnen Beiden jetzt etwas ganz Besonderes, kommen Sie bitte mit mir.“ sagte Frogara.
Sie schritten durch ein undurchdringlich erscheinendes Gestrüpp auf eine Lichtung, die auf beiden Seiten von hohen Felsen eingerahmt wurde. Auf der Lichtung waren zwei sehr große Teiche, die durch metallene, engmaschige Abgrenzungen von der Außenwelt abgeriegelt waren.
„Es muss unter uns bleiben. Davon wissen nur ganz wenige und es dürfen auch nur ganz wenige davon wissen. Es ist – eine besondere Serviceleistung für meine ganz besonderen Kunden.“
Frogara schien eine intime Verbindung zum Wort „Besonders“ zu haben, die sich rational nicht erklären lies. Und uns gewaltig auf die Nerven ging.
„Was haben Sie im ersten Teich?“ fragte ich.
„Etwas ganz, ganz….“
“… Besonderes,“ sagte ich. „Sie können es nicht wissen, aber ich habe eine „Besonders“ Allergie. Ich bekomme unkontrollierte Aggressionen, wenn ich das Wort mehr als fünfmal in fünf Minuten höre. Beim letzten Mal, es war ein einer Hafenbar der Stadt Kastellah, mussten sich gleich zwei Schiffe nach neuem Personal umschauen, weil man mir die „besonderen Vorzüge“ eines zwielichtigen Kartenspiels in einem Nebenzimmer erklären wollte. Erst nach einer Stunde war ich wieder bei Sinnen und fand mich von 8 Hafenpolizisten umringt, die sich nicht trauten, mich anzufassen.“
„Es fängt immer mit diesem eigenartigen Zwinkern an. Ich zeigte auf mein Auge“ – das in dem Augenblick zweimal zwinkerte.
„Bitte entschuldigen Sie, das wusste ich nicht. Eine ganz“ – Okura und Jickelson schauten ihn gespannt an – „ungewöhnliche Situation.“ Zwischen Frogaras zurückweichendem Haaransatz mit dünnen, klebrigen Haaren und der weit ausladenden Stirn, bildete sich ein kleiner Schweißteppich.
„Nachdem das nun geklärt ist, was ist im ersten Teich?“ fragte ich.
„Oh, ja, natürlich. Zauberkröten. Sehr beliebt, sehr selten, sehr verzaubernd und sehr wertvoll.“
„Was verzaubern sie denn, die Kröten?“ wollte Okura wissen.
„Musik. Sie werden von ausgewählten Barden auf unserem Kontinent bevorzugt, da sie einmal in der Woche eine sehr populäre Melodie ersinnen. Sie tragen sie solange vor, bis der Besitzer sie aufgezeichnet und sie vorher und nachher mit ihrer Lieblingsspeise gefüttert hat.“
„Insekten aus Yaginam?“ fragte Okura.
„Weiche, süße Gebäckkugeln. Eine Laune der Natur. Dafür kosten sie auch nur 8.000 Dominaren das Stück.“
Er führte uns näher an den Teich, in dem gleich zwei Kröten wunderbare Kompositionen von sich gaben. Frogara warf ihnen kugelförmige Gebilde zu, die den Mozart-Kugeln auf Nerthus – unserer Erde – ähnelten. Die Tiere verstummten nach einer Weile und zogen sich zufrieden in das tümpelige Wasser zurück.
„Davon nehme ich zwei Stück,“ sagte ich.
Frogara rieb sich die Hände. „Ich müsste auf Barzahlung bestehen.“
„Lassen Sie uns zunächst noch die anderen Kröten anschauen.“
„Trauerkröten aus Yaginam.“ sagte Frogara. „Völlig illegal und bes…., ganz außergewöhnlich aktiv in Atlantis. Die Laute, die sie ausstoßen, versetzen die gesamte Umgebung in Trauer. Menschen und Tiere werden depressiv. Es darf aber auf keinen Fall etwas davon an die Öffentlichkeit kommen.“
Frogara ging zum Teich und hockte sich davor. Er warf einige Futterstückchen ins Wasser und die schwarzen Kröten stimmten in den traurigsten Moll-Tönen ein Konzert des Weltuntergangs an.
„Sie sind sehr geschickt. Sie nutzen die traurige Stimmung aus und flüchten.“ sagte Frogara. „Erst letztlich sind mir zwei bei einem Transport in der Nähe der Sümpfe von Slorgh entwischt.“
Okura und ich schauten uns an.
„Ich glaube, damit machen wir dem Trauerspiel ein Ende.“ sagte ich und stieß einen gellenden Pfiff aus.
Frogara hielt sich seine blaß-grünen Ohren zu, Okura grinste und Ruben Slick, Leiter der Abteilung AIG (Atlantischer Inlandsgeheimdienst) hüpfte gekonnt in perfektem Geheimagent-Dress der Atlantis-Zeit (dunkler Kaftan, edle Dolche links und rechts der Hüfte, polierte Seeschlangen-Sneaker) aus dem Dickicht und sagte die denkwürdigen Worte: “Aus-gequackt, Frogara!“
Okura und ich senkten peinlich berührt den Kopf.
In der Pose blieb Ruben Slick etwa 15 Sekunden stehen um sich zu bewundern, während Frogara die Zeit nutzte, das Weite zu suchen. Er hüpfte an Okura und mir vorbei und blieb an meinem ausgestreckten Bein hängen, stürzte und versuchte sich trotz seines asynchronen Körpers aufzurichten. Mit wenig Erfolg.
Da kam auch schon Ruben Slick heran stolziert. „So, so, Importe aus Yaginam, das wird Großkanzler Oeckie und dem Rest der Regierung nicht gefallen.“
„Euer Großkanzler ist mir völlig gleichgültig. Niemand hat sich um mich gekümmert, als ich hilflos in den Slums von Boenia nach einem Job suchte und nur die Kröten meine Freunde waren. Ich hasse…“
Okuras Faust traf ihn an der Schläfe. Als er auf dem Boden aufschlug, machte er ein Geräusch, als ob ein Sack mit Schlamm auf die Erde gefallen wäre. Sie wischte sich die Rechte an ihrem Hosenbein ab, als ob sie, naja, eine Kröte zerquetscht hätte.
Ruben Slick rief einige Helfer herbei, die Frogara aufweckten und abführten. Ich bekam meine mit ihm vereinbarte Provision von 2 Zauberkröten und wir verstauten sie in einem kleinen Transportbehälter. Sie hatten einen weiten Weg vor sich.
„Kommst Du noch mit auf einen Sprung in die Sümpfe von Slorgh,“ fragte ich sie.
…………………….
Die Sümpfe von Slorgh, südwestlich der zentral gelegenen Hauptstadt Boenia gelegen und an die Wüste der ewigen Stürme angrenzend, waren im wahrsten Wortsinn ein Urwald. Dichte, teilweise uralte Baumbestände, Ranken und Lianen, wohin man schaute, Unterholz und ein modriger Geruch, der durch das Grün waberte. Neben den gut ausgebauten Hauptpfaden gab es zahlreiche Nebenpfade, die auch zu den zahllosen Schlangenteichen führten. Wenn man von diesen Pfaden abkam, wartete tückischer, tiefer und sehr alter Sumpf.
Die Singschlangen von Atlantis waren kuriose Tiere, die sowohl im Wasser, als auch an Land leben konnten. Sie wurden 10 bis 12 Meter lang und erreichten dabei einen Körperumfang von fast einem Meter. Ihre blau-rosa Schlangenhaut die sie abwarfen, war ein beliebter Exportartikel zur Erde, da sie als Trophäe von Großwildjägern alles übertrafen, was man dort fangen konnte.
Ihren Namen hatten die sensiblen Tiere von der Fähigkeit, sich in Gewässern treiben zu lassen und durch ihren hypnotischen, leichtfüßigen, harmonischen und eingängigen Singsang Beute zu machen. Fische, Groß-Kröten und andere Lebewesen bis zur Größe von atlantischen Brassons-Kälbern, die sich in die Sümpfe verirrt hatten, erlagen dem Charme der Musik und wurden leichte Opfer. Die sphärigen Gesänge konnten einem gewaltig auf die Nerven gehen, da sie als Dauerbeschallung durch die Sümpfe von Slorgh tönten.
Als Okura und ich eine Weile auf LexKex, dem Tricepteros Reitsaurier den Hauptpfad genommen hatten, hörten wir statt des üblichen Sphären-Geschwurbels aus einer Richtung einen passablen Blues in der Schlangen-Tonlage.
Nach einigen Hundert Meter über einen wenig ausgebauten Pfad, konnte man dazu noch wesentlich leiser, ein trauriges Gequacke hören, das versuchte, ein Duett mit den Schlangen auszutragen.
Keine Frage, hier waren wir richtig.
LexKex wurde nervös, als wir uns dem Teich näherten und die beiden Gesangsquellen lauter wurden.
Das Dickicht öffnete sich zu einem ca. 400 Meter durchmessende, eliptisch geformten, dunkelgrünen Teich. Das dicht bewachsene Ufer wurde von einem kleinen Pfad umsäumt, der wohl vom Wild angelegt wurde, das zur Wasserstelle wollte. Auf dem See konnten wir drei Singschlangen ausmachen, die ein Dauer-Blueskonzert zum Besten gaben. Immer im Dialog und als Antwort auf die Trauermelodie der Frösche. Beim Blues gibt es tatsächlich eine Spielart, die „Shouting Blues“ heißt und bei der ein Künstler etwas ruft und die anderen antworten mit Gesang darauf.
Das diese Musikform in der Tierwelt bekannt war, überraschte uns.
Wir versuchten, die Quelle der Krötengesänge auszumachen und ritten langsam auf LexKex näher, dem die bluesige Stimmung stark auf das Gemüt zu gehen schien.
Nach 5 Minuten hatten wir die Stelle erreicht. Aus einem relativ flachen Gebüsch kamen zwei traurige Krötenstimmen, die von den Schlangen auf dem Wasser beantwortet wurden. Ich stieg von LexKex und näherte mich dem Gebüsch. Tatsächlich waren zwei Handteller-große, dunkelblaue (sogar die Farbwahl passte) Kröten dabei, die allgemeine Stimmung herab zu ziehen.
Okura ritt auf LexKex näher und sicherte die Umgebung.
LexKex machte seinem Unmut mit lautem Schnauben Luft. Während ich zu den Gepäckhalterungen am hinteren Sattel ging, um die Transportbehälter für die Kröten aus Yaginam zu holen, machte LexKex einen schnellen Satz nach vorne und stampfte dreimal trotzig auf den Boden.
Das Geräusch aus dem Gebüsch verstummte. Das Gebüsch war nur noch wenig höher als der umgebende Boden. Und den beiden Kröten hatte LexKex „die Luft heraus gelassen.“
„Problem gelöst!“ sagte Okura und tätschelte die gewaltige Seite des Tricepteros. Auf dem See kehrte Ruhe ein. Ich schaffte die Überreste als Beweis mittels Stöcken und Blättern in die Transportbox am Sattel.
Als wir gerade wieder auf den Pfad durch den Dschungel zum Hauptweg einbiegen wollten, hörten wir vom See zaghafte sphärisch, hypnotische Gesänge. Die Singschlangen kehrten wieder zu ihrem Genre zurück. Ein Grund mehr für uns, schnell die Sümpfe zu verlassen.
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Okura brachte mich und die beiden Zauberkröten zur Transportpyramide, auf der ich hergekommen war.
„Wann wirst Du wiederkommen, Jick?“
„Mach mir ein verlockendes Angebot und ich sage Dir wann.“ lachte ich.
„In drei Tagen gibt es bei mir ein großes Fest mit erlesenen Speisen und Getränken. Du bist herzlich eingeladen.“
„Ein Fest? Wie heißt es und was ist der Anlass?“
Sie lächelte. „Es ist das John Jack Jickelson Fest und der Anlass ist der Besuch von, naja…“
„Der beste Grund am Fest teilzunehmen.“ sagte ich. „Mal sehen, ob ich dem Schicksal verkauft bekomme, dass ich etwas hervorragenden Rotwein und diesen unverschämt leckeren Gin mitbringen darf, den ich bei ihm getrunken habe.“
„Außerdem will ich mir noch den versprochenen Olemba-Saphir holen. Wenn Du nach der Feier nichts geplant hast – wir brauchen etwa zwei Tage.“
Ich nahm sie in die Arme und gab ihr einen langen Kuss. Dann stieg ich die Pyramide hinauf und begann oben meinen Transitsong, mit dem Krötenbehälter vor meinen Füßen. Ich sah noch, wie Okura mir kurz zuwinkte, bevor ich ins Nichts gezogen wurde.
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Einen Tag später war ich bei Rainy Sunshine in den Hollywood Hills.
Er empfing mich aufgeregt und sah gespannt auf die Transportbox, die ich auf den Tisch vor dem Panoramafenster stellte. Ich öffnete sie und reichte den Kröten einige mitgebrachte Mozartkugeln mit einem Handschuh aus einer Tüte.
Eine der beiden Zauberkröten stimmte prompt einen Krötengesang an.
Rainy hörte fasziniert zu. „Das hört sich an wie ein Remix der Zauberflöte.“ (Nein, jetzt kein Wortspiel mit Zauberkröte). „Die Zauberflöte. Mozart war einer der populärsten Komponisten und Musiker seiner Zeit, weil er seine Botschaft in eingängigen Melodien und Kompositionen verpackte. Er verstand es, durch seine Harmonien den Ausdruck der Musik so zu verstärken, dass er bei den meisten Menschen ankam. Der unvergängliche Zauber des alten Wien, eine pulsierende Zeit vollere Verve und Leben. Überschäumende Lebensfreude, Glanz und Glamour.“
Er ging zu seinem Flügel und begann zu improvisieren. Die zweite Kröte stimmte ein. Rainy war in einer anderen Welt und komponierte die nächsten 10 Stunden ohne Unterbrechung.
Ich wurde unterdessen bestens bewirtet, genoss den Sonnenschein an seinem Pool und wurde Zeuge der Geburt eines internationalen Hit-Albums, das später als Referenz für unterschiedliche Musikrichtungen gelten sollte. „Simply a Masterpiece from a Master of Music pieces“, wie es bei der Emmy-Verleihung des folgenden Jahres heißen sollte.
Für die Beschaffung der Hit-Kröten wurde ich als Co-Produzent unter Vertrag genommen und verdiente über die Jahre soviel Geld, dass ich kurzzeitig überlegte, von Yoko Ono die Rechte an allen Beatles-Alben zu kaufen.
Im Süden von Atlantis, nicht weit entfernt von der Universität Ellbaragh, liegt die Hafenstadt Kastellah. Der gleichnamige Fluss, der hunderte Kilometer entfernt in den nördlichen Gebirgen von Havamal entspringt, mündet hier bunt schillernd und nach Blüten duftend, ins Meer.
Besonders auf den letzten 10 Kilometern hat er durch seine wunderbaren Farben und die ätherischen Düfte eine heilende Wirkung gegen Schwermut und Trübsinn. In unmittelbarer Nähe findet man zahlreiche kleinere Sanatorien, die dieses Thema adressieren.
Kastellah hat etwa 50.000 Einwohner unterschiedlichster Herkunft. Nordländer aus den kargen Gebirgen suchen hier ihr Glück, Farmer und Händler aus den Getreideebenen von Pangora, aber auch sehr exotisch aussehende Bewohner des weit entfernten afrikanischen und patagonischen Kontinents, der später als Europa bekannt wurde, leben und arbeiten hier.
Eine regionale Spezialität ist der Blauwein „Nebel von Kastellah“. Mit seinen 20% Alkoholgehalt wird ihm unter anderem nachgesagt, leicht halluzinatorische Wirkung zu haben. Zudem sagen nicht wenige, sie hätten durch ihn einen Blick in ihre eigene Zukunft werfen können. Wenn man genug konsumiert hatte, versteht sich.
Es gibt vier nennenswerte Stadtteile:
Das Hafenviertel mit seinen Anlegeplätzen, Speicherstätten, Flüsterkneipen, verschwiegenen Handelsplätzen, geheimen Sklavenmärkten und Umschlagplätzen für fast alle legalen und illegalen Waren, die man sich vorstellen kann.Hier findet man das Zollamt, Schiffsmakler und billige Arbeitskräfte zum Be- und Entladen der Schiffe – manchmal bis zu 12 am Tag.
Das Handelszentrum profitiert sehr stark davon und ist direkt dem Hafenviertel angegliedert. Dort trifft sich die Geldelite der Region, oft von ganz Atlantis, um ihr Glück zu machen. Bestens bewacht von privaten und staatlichen Schutzkräften, gehen dort Kaufleute aller Provinienz zu jeder Tags- und Nachtzeit ihren Geschäften nach.
Etwas weiter nördlich und verbunden mit gut ausgebauten und gepflasterten Straßen, sind die Wohnviertel. Auch hier unterteilt man nach finanziellen Möglichkeiten, zwischen traumhaft schönen Gebäuden in bester Lage, Steinhäuser die bis zu dreistöckig für den Mittelstand als Wohnstatt dienen und im Nordwesten die Armenviertel, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Wer es sich leisten kann, wohnt allerdings nicht in diesem Bezirk, sondern hat gleich eine repräsentative Villa auf einem Hügel direkt am Meer.
Im Wohnviertel sind auch Versorger mit Lebensmittelläden, Restaurants und Kneipen, sowie Saurier- und Lauftaxiunternehmen angesiedelt.
Das Verwaltungsviertel mit Gemeindehäusern, Schulen, Tempeln, Polizei, Feuerwehr und ähnlichen Einrichtungen der öffentlichen Hand, befindet sich direkt westlich des Handelsviertels. Hier arbeiten Bürgermeister und Stadträte, Staatsdiener und private Organisationen, damit in Kastellah alles seinen ordentlichen Gang geht. Das örtliche Finanzamt darf natürlich ebenso wenig fehlen, wie das Ordnungsamt, dessen Bestechlichkeit seit Jahrhunderten einen legendären Ruf hat.